Roman Kurzmeyer


Zwischen Baumarkt und Museum

Installative Verfahren bei Dagmar Heppner, Karin Hueber und Kilian Rüthemann


Nach Ausstellungsende haben Dagmar Heppner, Karin Hueber und Kilian Rüthemann einige der vor Ort entstandenen, in Werkstatt und Park der Kunststiftung Erich Hauser ausgestellten Arbeiten abgebaut, verpackt, wegtransportiert und eingelagert, andere wieder in ihre materiellen Bestandteile zerlegt. Es sind Werke, deren Formen sich der Erfahrung und Transformation von Raum, Ort und Zeit verdanken, und die deshalb nicht unbesehen und unreflektiert wieder ausgestellt werden können. Heppner, Hueber und Rüthemann kennen sich seit ihrer Studienzeit an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Ausstellen und Kuratieren war schon während des Studiums bewusster Ausdruck ihrer künstlerischen Praxis. 2004 gründeten und leiteten sie in Basel den Ausstellungsraum „Schalter“. Heppner, Hueber und Rüthemann bilden zusammen keine Künstlergruppe, auch wenn sie gelegentlich in unterschiedlichen Konstellationen projektbezogen zusammen arbeiten. Die in der Kunststiftung Erich Hauser ausgestellten Arbeiten entwickelten sie während ihres Aufenthaltes in Rottweil, eine Gemeinschaftsarbeit ist dabei nicht entstanden. Gemeinsam ist den drei Künstlern das Interesse für installative, situative künstlerische Verfahren. Ich denke an die Bemerkung von Juliane Rebentisch in ihrer vor wenigen Jahren erschienenen Ästhetik der Installation, wonach die „interessanteste Kunst heute voll ist von Bearbeitungen und Wiederaufnahmen der künstlerischen Positionen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre.“ Rebentisch spricht in ihrer Ästhetik von der Pionierzeit der Installationskunst. 


Ein Kennzeichen dieser Kunst ist die Intermedialität. Das Schaffen von Bruce Nauman ist eine konsequente Verkörperung dieser Haltung. Nauman studierte Malerei, gleichzeitig beschäftigte er sich mit zeitgenössischer Musik, Literatur und Philosophie. Skulptur, Performance, Film formen sein Frühwerk. Als er in Kalifornien in den sechziger Jahren die Grundlagen für sein späteres Werk erarbeitete, war nicht abzusehen, wie schnell sich selbst die akademische Kunstausbildung an der Intermedialität orientieren würde. In den Vereinigten Staaten war der abstrakte Expressionismus die in den vierziger und fünfziger Jahren alles dominierende moderne Bewegung. Die konzentrierte Arbeit im Atelier und das Gespräch im engen Freundeskreis standen im Zentrum der künstlerischen Existenz. Es gab nicht wie heute ein breites öffentliches Interesse für zeitgenössische Kunst und zunächst auch keinen Markt für diese Kunst. Als Allan Kaprow die ersten Environments erprobte und theoretisch begründete, bezog er sich auf Jackson Pollock. In dem 1958, zwei Jahre nach Pollocks Tod publizierten Aufsatz The Legacy of Jackson Pollock bespricht Kaprow nicht Gemälde, sondern des Künstlers Praxis der Malerei, und zwar vor allem die performativen, bildentgrenzenden Aspekte seines Schaffens. Neben die abstrakte Malerei, mit der man in der ersten Nachkriegszeit die Moderne identifizierte, trat nun nach und nach eine Vielzahl anderer Medien, die heute das Bild der zeitgenössischen Kunst prägen. Junge Künstler sind sich dieser Situation bewusst. Es ist dieser Aspekt, den sie an der Vergangenheit als lebendig erleben. In Europa begann der Entgrenzungsprozess, von dem Joseph Beuys ebenfalls in den sechziger Jahren als „Erweiterung des Kunstbegriffs“ sprach, nicht erst wie in den Vereinigten Staaten in den Nachkriegsjahren, sondern im späten 19. Jahrhundert und wurde durch Totalitarismus und Krieg unterbrochen. Rückblickend erscheint die Entwicklung folgerichtig und eigentlich auch nicht überraschend. Auch wenn man erst in den siebziger Jahren von installativer Kunst zu sprechen begann, der traditionelle Werkbegriff stand schon im frühen 20. Jahrhundert mit den klassischen Avantgarden zur Diskussion. Bedeutsam an dieser Entwicklung ist nun, dass es seither möglich ist, intermediär und experimentell zu arbeiten und dabei die ausserkünstlerische Realität einzubeziehen, ohne die Autonomie des Kunstwerks aufzugeben, und zwar so weitgehend, dass ein vorgefertigter Gegenstand oder selbst ein Gedanke den Platz des Kunstwerks einnehmen kann.

 

Robert Grosvenors Schaffen ist eines der heute beispielhaften Werke für diese Entwicklung und deshalb für das neue installative Kunstschaffen von grosser Relevanz. Seine Assemblagen bestehen aus Bestandteilen, die uns vertraut und zugleich fremd erscheinen und alltägliche Dinge in Erinnerung rufen. Beinahe jedes Element wurde vom Künstler einzeln hergestellt. Es gibt zwar Ready-made-Bestandteile, aber diese werden nicht als solche verwendet und ausgestellt, sondern lediglich als Material oder Form eingesetzt. Interessant an Grosvenors Werk ist, dass der Künstler während seiner inzwischen rund vier Jahrzehnte umfassenden Karriere jeden Umweg ausprobierte, um neue plastische Möglichkeiten zu entwerfen, und dabei seinen Blick auf die Welt permanent zu befragen. Er hat, und dies unterscheidet ihn von einem Künstler seiner Generation wie Donald Judd, kein ästhetisches Programm entwickelt, das dem Werk eine innere sprachliche Logik verschafft und ihm selbst eine konstante Produktionspraxis ermöglicht hätte. Entsprechend ist Grosvenors Werk sehr schmal. Jedes Stück scheint spezifisch zu sein. Im Unterschied zur Minimal Art, deren ästhetisches Programm auf einer gesellschaftlichen und künstlerischen Utopie beruht und damit einen Wahrheitsanspruch verkörpert, zerbricht der Ganzheitsanspruch des Minimalismus im Werk Grosvenors. 1972 beispielsweise richtete er zwei je 9 m hohe Telefonmasten auf, nur um sie knapp über dem Boden abzubrechen und liegen zu lassen. Er sammelt, bearbeitet, verletzt, zerstückelt, fügt an und setzt zusammen. Seine frühen, in den sechziger Jahren geschaffenen Arbeiten bildeten einen Raum zwischen der realen Architektur und sich selber, die neueren Skulpturen werden um einen Raum herum gebildet, den sie selber herstellen. Dieser Raum ist Bestandteil des Werks und damit unzugänglich. Auf der Höhe der Zeit zu stehen, das meint bei Grosvenor, die visuelle Vielsprachigkeit der Gegenwart, die Gleichwertigkeit von populären Bildern und solchen der Hochkultur, die schiere Menge an Bildern und Dingen, ihre Verfügbarkeit also, aber auch die Auflösung von Kultur, Identität, damit von Orientierung und Sicherheit zu thematisieren, und zwar mit den Mitteln der Minimal Art, die das Kunstwerk ja als Instrument für die visuelle und körperliche Wahrnehmung begreift und sehr formbezogen ist. 


Nun sind wir in der Gegenwart und bei den Arbeiten von Dagmar Heppner, Karin Hueber und Kilian Rüthemann angelangt. Heppner und Hueber arbeiteten während dreier Wochen in der Werkstatt des vor zwei Jahren verstorbenen Erich Hauser. Heppner und Hueber zeigten ihre Arbeiten auch in dieser grossen Halle. Rüthemann installierte im Aussenraum zwei Arbeiten aus Bauprofilen. Diese werden in der Schweiz dazu verwendet, während der öffentlichen Baubewilligungsverfahren Standort und Bauvolumen eines Bauprojekts anzuzeigen. Bei den von Rüthemann verwendeten Profilen handelt es sich um leichte Aluminiumrohre, die er selber handhaben und aufrichten konnte. Die kleinere der beiden Arbeiten bestand aus 4 Profilen, mit denen er ein Luftvolumen von 2 x 2 m Grundfläche und einer Höhe von 9,5 m aussteckte. Die Installation stand auf abfallendem Gelände. Rüthemann steckte die Profile so, dass diese topografische Eigenschaft des Geländes im angezeigten Volumen sichtbar blieb, und dadurch das Bild eines schiefen Turmes evozierte. Nicht weit von dieser Installation entfernt, vermochte er mit den auf einer Linie angeordneten Profilen die Vorstellung einer 30 m langen und 20 m hohen Wand zu schaffen, die sich zwischen den Stahlskulpturen Hausers hindurchzog und die monumentalen Werke überragte. Der grosse Park der Stiftung ist dicht mit den Stahlskulpturen Hausers bestückt. Rüthemann arbeitete hier mit der Elastizität der Aluminiumrohre. Der Künstler machte sich diese Eigenschaft der Leichtmetallprofile zu Nutzen. Die Stangen bogen sich wie Gräser im Wind, weil Rüthemann sie nicht ins Lot stellte. Seine filigranen Arbeiten deuteten im Raum sozusagen zeichnerisch die Möglichkeit von Skulptur an, ohne sie zu realisieren. Rüthemann mietete die Bauprofile, inzwischen werden sie wieder für ihren eigentlichen Zweck eingesetzt. Von Dagmar Heppner waren in der Metallwerkstatt sieben Arbeiten zu sehen. Als sie im Lager der Stiftung stöberte, stiess sie auf gebrauchte Aluminiumrahmen. Einer dieser quadratischen Rahmen zog ihre Aufmerksamkeit wegen eines braunen Kleckses auf dem eingerahmten Papier besonders auf sich. Dieser unabsichtlich entstandene Farbfleck bewog die Künstlerin, mit einem Pinsel Farbe auf Papiere zu spritzen. Aus diesen Zufallsbildern wählte sie eines aus, kopierte es mit Bleistift auf ein Aquarellpapier und kolorierte die Zeichnung mit dem Pinsel. Das gefundene Bild im Originalrahmen und das erzeugte Aquarell in einem identischen Rahmen bilden die Arbeit Lost and found. Ein aus einem Schulheft herausgelöstes liniertes Blatt Papier, das die Künstlerin als Ding in einem Rahmen ausstellt, heisst Shanty. Daneben hängen zwei schwarze Plastiken, die an Masken erinnern. Ein dreiteiliger Paravant, den sie mit violetten Stoffen bespannte, steht im Raum. Das kleine Holzpalett, dessen Oberfläche gereinigt, poliert und versiegelt wurde, sieht nun aus wie ein Stück mobiler Fussboden und heisst The remote part. An der Wand hängt ein Metallregal auf dem eine Holzplatte im Bildformat 50 x 70 cm liegt, die nicht befestigt ist. Die untere Fläche ist bemalt. Man kann sich unter das Regal stellen. Zu sehen, was über einem hängt, fällt äusserst schwer. Ein Bild? Ein Objekt? Ein Einrichtungsgegenstand? Das davor stehende Metallregal, ebenfalls vor Ort gefunden, hat sechs weiss lackierte Fachböden, von denen Heppner drei mit Farbe aus einer Dose besprühte. Sie behandelte das Regal wie einen Bildträger und stellte es danach als Bilderlager aus. Der unterste Boden ist weiss, in kleinem Abstand darüber hängt ein zweiter Fächer, dessen Bodenfläche mit Neonrot besprüht wurde, so dass die rote Farbe indirekt erscheint. Auf mittlerer Höhe folgen zwei weitere Elemente. Diesmal ist die obere Seite des vierten Fachbodens blau besprüht. Das dritte Paar hängt ungefähr auf Augenhöhe. Die beiden Flächen berühren sich beinahe. Die gut sichtbare Bodenfläche des unteren Elementes ist grün besprüht und das oberste umgekehrt eingehängt. Dagmar Heppner orientiert sich an Werkformen und Präsentationsmustern modernistischer Kunst, richtet ihre Arbeit aber inhaltlich anders aus. Sie thematisiert mit ihren Werken den privaten Raum in doppelter Hinsicht, als Innenraum im Gegensatz zum öffentlichen Raum und als persönlicher Raum. Es wird ein Raum des Nachdenkens und der Stille entworfen. Möglichkeiten werden angezeigt, ungeschriebene Geschichten angedeutet und leere Systeme dargestellt. Sprach- und Realitätsverlust werden konstatiert und zugleich positiv als Bedingungen von Möglichkeit thematisiert. Es gibt nur, was zu sehen und dabei an Bedeutung mitenthalten ist. Karin Hueber arbeitete ebenfalls in der Metallwerkstatt. Ihre Installation besteht aus einer grossen rechtwinkligen Holzrampe und drei polierten Stahlkugeln. Die Rampenfläche ist aus gebrauchten Stellwandelementen zusammengesetzt und wird von Holzstützen getragen. Die Stützen und die Plattenunterseite wurden roh belassen, die Bildseite liess die Künstlerin in einem Spritzwerk mit einem satten Schwarz einfärben. Es gibt matte und glänzende Elemente. Man kann sich vor die Rampe stellen und sieht sich und den Umraum in den glänzend lackierten Flächen gespiegelt. Die matten Kompositionsteile absorbieren das einfallende Licht. Die Platte, deren Form in stark verkleinertem Masstab den Hallengrundriss wiedergibt, scheint auf den Stützen zu lasten. Durch den flachen Winkel der oberen Stützen wird der Eindruck einer möglichen Bewegung erzeugt. Als ob die Platte erst gerade aufgerichtet würde und dabei abzugleiten drohte. Die drei unterschiedlich grossen Stahlkugeln spiegeln den Raum ebenfalls und unterstreichen durch ihre Form das Potential zur Veränderung. Kugeln und Rampe bilden zusammen eine mögliche Spieleinheit. Es ist, als ob sich in diesem Werk Unheimliches, Erschütterndes ankündigen würde. Hier zeigt sich eine Parallele zu Grosvenor. Dieser entleerte 1987 einen Wohnwagen bis auf die Struktur, entfernte Decke und Stirnwand, bemalte alles schwarz und fügte Beine an. Es ist ein Haus, das seiner Funktion und Identität beraubt wurde.


Die aktuelle Minimalismuskritik, welche diese Ausstellung künstlerisch überzeugend vor Augen führt, verwendet bildentgrenzende, situative, kontextuelle und installative Verfahren, um dennoch wie die Minimal Art in erster Linie wieder das Sehen anzusprechen und Sichtbarkeit auch körperlich erfahrbar zu machen. Kunst und Leben bleiben dabei gesonderte, aber ausdrücklich aufeinander bezogene Bereiche. In diese Richtung weisen seit den neunziger Jahren eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern, von denen lediglich Rita McBride und Heimo Zobernig erwähnt seien. Sie haben ein Feld vorbereitet, auf dem sich die Jüngeren nun zu bewegen beginnen.